Fragmente zu einer Diskussion über Sigmund Freud und "modernen
Psychotherapie"
Diese Seite war gedacht als Infoseite, inzwischen tendiere ich dazu, sie einfach als
Notizblock zu gebrauchen und darin eigene Meinungen aber auch per EMail zugesandte
Lesermeinungen einzubinden, letzteres natürlich nur mit Einverständnis
1. Thema: Sigmund Freud
Es ist Mode geworden, auf Freud zu schimpfen. Manche Feministinnen gehen so weit ihn als
kranken Mann zu bezeichnen, der eine frauenfeindliche Psychoanalyse in Gang gesetzt hat.
Eigenartigerweise haben die meisten Kritiker Freud selber nie im Original gelesen.
Trivialerweise können 100 Jahre nach Erscheinen seiner ersten Schriften in einer sich
stetig wandelnden gesellschaftlichen Welt viele seiner Aussagen nicht mehr richtig sein.
Wer ihm deswegen einen Vorwurf macht, muß Atomphysikern der ersten Jahrhunderthälfte
gleichermaßen den Vorwurf machen, daß sie die Struktur des Atoms nicht erkannt haben.
Freud hat nach bestem Wissen und Gewissen erforscht und geforscht, er konnte auf nichts
vor ihm zurückgreifen, er war Pionier, und da ist es natürlich unvermeidbar, daß viele
seiner teilweise frauenfeindlicher Aussagen heute nicht mehr haltbar sind. Auch ist die
ganze Sexualtheorie, Begriffe von Penisneid etc. kritisch zu hinterfragen. Trotzdem war er
ein großer Mann, der als erster auch heute noch mit Abstrichen praktikable Modelle für
das Erkennen und das Heilen seelischer Störungen geliefert hat. Keiner seiner heutigen
Anhänger wird sich sklavisch hinter ihn stellen und alles so machen, wie er es gelehrt
hat, dafür sind ja auch inzwischen fast 100 Jahre ins Land gegangen. In einer Zeit, in
der seelische Erkrankungen im wesentlichen mit Zwangsmaßnahmen, Wegsperren, hochgiftigen
Medikamenten behandelt wurden, ging er neue Wege und führte in die Medizin das ein, wovon
heute viele Patienten träumen, das lange Gespräch. Ohne Freud gäbe es möglicherweise
nicht die heutigen psychotherapeutischen Möglichkeiten. Dafür sollten wir ihm dankbar
sein, auch wenn er notwendigerweise in manchen Dingen irrte.
2. Auch in der Behandlung von seelischen Störungen gibt es Modeerscheinungen.
Institute schießen wie Pilze aus dem Boden. Meistens verbreiten sie vier Botschaften:
a. die etablierte Psychotherapie ist antiquiert. Sie ist viel zu teuer, sie dauert viel zu
lange, sie ist ineffektiv
b. es sei ein Ermessensmißbrauch der Kassen, dass diverse Therapieformen wie
Gestalttherapie, Gesprächstherapie, Paartherapie, Sexualtherapie,
Gesprächspsychotherapie, Urschreitherapie von der Erstattung ausgeschlossen seien
c. die schlechten Psychotherapeuten haben eine Kassenzulassung, gute Psychotherapeuten
arbeiten nur auf privater Basis
d. Im Ort xxx gibt es ein Institut yyyy (Therapeut, Therapeutin,
therapeutisches Zentrum) welches alles viel besser und schneller erledigt. Adressen über
Internet.
Dazu ist folgendes zu sagen: die sogenannte etablierte Psychotherapie ist in einer
ständigen Erneuerung begriffen. Es gibt kaum eine andere Berufsgruppe, die soviel in
permanente Fortbildung investiert. Wir haben heute mit der Psychoanalyse, der
Verhaltenstherapie und der tiefenpsyachologisch fundierten Psychotherapie als den drei
kassenmäßig zugelassenen Therapieformen eine sehr große Bandbreite, in der eigentlich
alles möglich ist. Keinem Therapeuten wird es verwehrt, in seinen Therapien Gespräche zu
führen, gestalttherapeutische Prinzipien anzuwenden, katathymes Bilderleben partiell
anzuwenden, aber und das ist das wichtige sollen diese Elemente Teil einer
Gesamtkonzeption sein. Bisher sind eben nun mal nur diese obigen drei Therapieformen
global in ihrer Wirksamkeit erforscht. Andere mögen noch folgen. Es kann aber weiß Gott
nicht sein, daß einer, der im strömenden Regen die wohltuende Wirkung auf Herz und Seele
des Regenschirmes erfährt, nunmehr eine Regenschirmtherapie ins Leben ruft,
Regenschirmtherapieinstitute gründet, sich selber zum Präsidenten wählt und meint, dass
seine Therapieform sofort als anerkannte Therapieform als erstattungsfähige Leistung bei
den Krankenkassen anerkannt wird.
Dass die anerkannten Therapieformen ineffektiv seien, wird sicherlich nicht von den
Millionen und Abermillionen Patienten behauptet, denen eine Therapie geholfen hat. Gerade
die Amerikaner, die ja als etwas pragmatischer gelten, haben in ihren Führungsschichten
erkannt, dass der Gang zum Therapeuten , gelegentlich oder auch mal engmaschiger, die
Arbeitseffektivität steigert.
Vielleicht dauern manche Therapien tatsächlich zu lange. Andererseits habe ich seit
vielen Jahren auch erlebt, daß Kurztherapien von 15 - 25 Stunden ausreichen, alles
weitere wäre Filigranarbeit.Es gibt dazu einen hübschen Vergleich aus der kanadischen
Holzfällerwelt, wo die gefällten Baumstämme ins Wasser geleitet werden. Gelegentlich
verkeilen sich die Masse an Baumstämmen im Fluß und es geht nicht mehr weiter. Wenn es
gelingt, den einen Baumstamm zu finden, der die Verkeilung unterhält und ihn wieder flott
zu machen, geht es wieder weiter. Der Vergleich zu Störungen des Seelenlebens ist
naheliegend. Deswegen, manche Therapien gehen schnell, manche lange. Nur ist eben
auch der Patient Gradmesser. Keiner wird gezwungen länger als notwendig eine Therapie zu
machen. Nur vielen tut sie halt gut und sie möchten weitermachen.
Das Argument des Teuren sticht auch nicht aus mehreren Gründen. Ein Herzneurotiker, wie
es sie in Deutschland zu Millionen gibt , verursacht in den durchschnittlich 8
Jahren, bis er endlich an einen Fachpsychotherapeuten überwiesen wird unglaublich viel an
Kosten bei Hausärzten, Kardiologen, Nervenärzten, Kliniken.
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