| |
Wir sind ein Team - oder wie
eine multiple Persönlichkeit ins Leben zurückfand.
Behandlung dissoziativer Identitätsstörungen
Psychotherapeutisches
Arbeiten geht wohl nicht immer standardmäßig, vielleicht braucht tatsächlich mancher
Patient seine eigene Therapie, die in keinem Lehrbuch steht. Meine eigene Einstellung zur
Psychotherapie wurde in besonderer Weise geprägt durch die therapeutische Begegnung mit
einer sogenannten Multiplen, viele sagen multiple Persönlichkeitsstörung, ich sage
lieber einer multiplen Persönlichkeit, die ja bekanntermaßen selten sind, angeblich gibt
es sie nicht, aber wenn sie existieren extrem schwer zu behandeln sind. Wenn die Umwelt zu
belastend für ein Kind ist, entwickelt es unter Umständen mehrere Ichs. Voraussetzung
dafür ist - neben dem entsprechenden Leidensdruck- ein kreativer, intelligenter und
phantasievoller Charakter. Das was ihnen aber in der Kindheit mitunter das Leben, vor
allem aber die zarten Seelenanteile gerettet hat, erschwert ihnen später oftmals den
Umgang mit anderen Menschen. Die wenigsten sind es gewöhnt in einem Körper mehrere
Personen anzutreffen. Obwohl "Multiple" keinesfalls sozial isoliert am Rande der
Gesellschaft leben müssen, treffen sie häufig auf wenig Verständnis und
Einfühlungsvermögen , wenn sie ihr Erleben anderen mitteilen. Zu schweigen haben sie ja
schon in der Kindheit gelernt.... Dieses Verständnis ein wenig zu verbessern soll diese
Internetseite beitragen. In meiner eigenen Praxis habe ich innerhalb von 3 - 4 Jahren eine
derartige Patientin erlebt. Die über dreijährige therapeutische Arbeit mit ihr führte
mich über große Höhen und Tiefen, probte meine Belastbarkeit bis an die Grenze und
"belohnte" mich mit dem Aufblühen einer menschlichen Existenz von unglaublicher
Vielfältigkeit. Nach drei Jahren steckte unser Therapieprozess fest, weshalb die Klientin
zu einem anderen Therapeuten wechselte. Sie ist unterdessen noch bzw. wieder in
therapeutischer Behandlung, lebt sozial integriert und berufstätig. Ich hätte mir in der
Zeit der Arbeit mit ihr mehr Möglichkeiten gewünscht mich mit Kollegen auszutauschen.
Leider stößt man da auf sehr viel Unwissen und Unverständnis. Diesem ein Stück weit zu
begegnen soll diese Internetseite dienen. Emails zum Thema bitte klicken Aber lassen wir die
Betroffene selbst berichten. Sie hat den Eingangstext mit mir Wort für Wort abgestimmt
und mich ausdrücklich gebeten, die folgenden Ausführungen, die ich wörtlich so zitiere,
auf meiner WEB Site unterzubringen, um ähnlich betroffenen Frauen, vielleicht auch
Männern, Mut zu machen.
Originalton der Patientin Solange ich mich
erinnern kann sind wir zu mehreren. Ich glaube wir sind zu acht. Mehr kenne ich jedenfalls
nicht. Daß ich nicht allein in meinem Körper wohne habe ich schon mit elf Jahren im
Tagebuch dokumentiert. Ich schrieb:"Komisch, ich dachte immer es gibt nur ein Ich in
jedem Körper, aber das stimmt ja gar nicht...." Damit gehören wir zu den (wohl eher
seltenen?) "Multis", die sich ihrer mehreren Ichs schon sehr lange bewußt sind.
Wir haben nur mit niemandem darüber gesprochen. Es war für mich auch so
selbstverständlich "Stimmen im Kopf" zu haben, daß ich das nicht mal
aussergewöhnlich fand. Erst mit über dreissig Jahren fragte ich einen Freund ob das denn
bei ihm nicht so sei. Unser erster Therapeut war der erste Mensch in unserem Leben dem wir
davon erzählt haben. Ich glaube, daß war auch das erste Mal, daß ich wirklich begriffen
habe was Vertrauen heißt oder heißen kann. Damals hatten wir quälende Suizidgedanken,
weil es aber nicht meine Gedanken waren, fand ich auch keinen Zugang dazu sie zu
verändern. Dem Therapeuten ist es gelungen zu diesem völlig verängstigen, hochsensiblen
Wesen A., das da mit mir in diesem Körper wohnt, Kontakt aufzunehmen. Seine unbeirrbare
Geduld weit über gewöhnliche Therapiesitzungen hinaus erweckte in A. plötzlich die
Idee, daß es etwas wert wäre. Und plötzlich verstand ich auch, daß es da in mir etwas
gibt für das es sich lohnt zu kämpfen. A. ist sehr kreativ und künstlerisch begabt
(malen, schreiben). Je mehr sie Raum hatte ihre Talente zu Papier zu bringen, desto eher
fanden wir auch Möglichkeiten Kontakt zu anderen Menschen zu finden. Das wesentlichste
für mich/uns ist aber, daß A. auch Kontakt zu den anderen Wesen in uns hat. Sie ist
sozusagen die Zentrale an der alle unsere (inneren) Kontakte zusammenlaufen. Ein Freund
hat uns den passenden Namen "Tüten" gegeben, weil wir wie acht Tüten sind, die
ineinander stecken - oder eben auch nicht. Dabei ist es für uns keinesfalls so
schmerzlich und verwirrend zu einzelnen Tüten dissoziiert zu sein wie uns das von der
Umgebung leider oft entgegen gespiegelt wird. Manchmal sind wir auch nicht völlig
getrennt sondern nur jeweils eine andere Tüte ist dann gerade "vorn", das
heißt, sie bestimmt das Handeln. Für die restlichen Tüten ist das Erleben dann etwas
diffuses, nebliges. Für uns ist es deshalb sehr wichtig den internen Dialog zu fördern,
damit wir uns gegenseitig über die Geschehnisse informieren. Totale Zeitlöcher treten
bei uns zum Glück selten auf. Sie haben aber immer etwas mit Stresssituationen zu tun.
Angst führt bei uns dazu, daß diejenigen Tüten, die Angst haben, zunächst im
Hintergrund sind und falls die Angst zu groß ist sind sie "weg". Ich weiß
nicht wo. Im täglichen Leben ist das keinesfalls hinderlich, in unserer Gesellschaft
sogar oftmals dienlich. Irgendeiner von uns (meist ich) kann schon mit jeder stressigen
Situation umgehen. Allerdings fühlt es sich für mich auf lange Sicht scheußlich an ohne
meine anderen Tüten zu sein. Dann wird das Leben sinnlos, wenn auch "leichter",
weil es nicht so viele unterschiedliche Interessen und Gefühle zu vereinbaren gibt.
Außerdem bin ich in jeder Hinsicht ziemlich schmerzunempfindlich. Durch die erste
Therapie haben wir unsere Suizidpläne überwunden:-), unterdessen sind wir alle sehr
überzeugt, daß wir leben wollen. Das ist der wesentlichste Schritt in unserer
Entwicklung:-) Dieses Leben aber auch konstruktiv zu gestalten fällt uns nicht immer
leicht. Außerdem gibt es noch etliche schmerzliche Themen für uns zu bearbeiten. Wir
möchten deshalb auch wieder therapeutisch weiter arbeiten, obwohl wir ganz stolz sind,
daß wir auch ohne Therapie auskommen. Mit unseren Freunden und all dem was wir schon
gelernt haben sind wir ganz gut in der Lage zu überleben. Therapeuten zu finden ist
schwer, vor allem weil es bei uns viele Kinder gibt. Das sind Therapeuten weniger
gewöhnt. Außerdem sind wir hochsensibel und reagieren auf jedes Gefühl anderer oft ehe
uns das bewußt ist. Das ist für Therapeuten wohl oft eine ziemliche Herausforderung. Am
schlimmsten ist es für uns wenn Therapeuten der Ansicht sind, daß es multiple
Persönlichkeiten nicht gibt oder Integration das einzige anzustrebende Ziel ist. Mit
solchen Menschen fühlt es sich für uns an als ob wir plötzlich nicht mehr da sein
dürften. Für uns ist es nicht wichtig, ob es Multis in einem Diagnosehandbuch gibt oder
nicht, und es ist für uns auch relativ bedeutungslos, daß es viele Menschen anstreben
nur allein in ihrem Körper zu wohnen. Vielleicht Ist das ja ganz schön. Aber vielleicht
ist es auch sehr einsam. Für uns ist das jedenfalls nicht so und ich wünsche mir von
meiner Umwelt, speziell der therapeutischen, daß sie dies auch über den eigenen Horizont
hinaus wagt zu akzeptieren: Es darf sein was ist! (mit freundlichem Dank an alle, die uns
auf unserem Weg begleiten)_
Nochmals mein Kommentar dazu: Irgendwann kam ich
zu dem Schluß trotz warnender Interventionen aus meinem eigenen
Psychotherapieverständnis, daß ich die Spaltung konsolidieren könnte, die P. in ihrer
Dissoziiertheit einfach anzunehmen, und es war richtig so, um sie in ihrer eigenen
späteren Sprache erst einmal therapiefähig zu machen. Das war ein Grund dafür, daß das
später nötig werdende aufdeckende und konfrontative Vorgehen einfach nicht mehr möglich
war und sie den Therapeuten wechselte. Multiple Persönlichkeiten brauchen eben
verschiedene Therapieabschnittspartner und - partnerinnen. Ich gestehe es ein, trotz der
narzisstischen Trennungskränkung für mich, war ich auch froh, die Verantwortung abgeben
zu dürfen. Ich bin auch dankbar dafür, daß ich die Gelegenheit hatte, wahrscheinlich
nur einmal im Leben, eine derart schaurig - ästhetische Therapie mitgestalten zu können
und freue mich immer wieder darüber, was aus A. geworden ist. Glossar
Wer sich genauer
informieren will, ist auf der Seite www.dissoziation.de
www.dissoid.de gut aufgehoben.
Zurück zu Aufsätze
allgemein Aufsätze Psychotherapie
Home
|